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E s s a y s  u n d  K o m m e n t a r e

Wildwuchs und Patchwork

Die Organisation von beruflicher Weiterbildung erfordert mehr Dialog und Transparenz zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern

von Christoph Schwarz


Berufliche Weiterbildung erhält immer grössere Relevanz auf dem Arbeitsmarkt. "Lebenslanges Lernen" ist die Grundidee vieler Arbeitnehmer und Arbeitgeber zur Verbesserung der beruflichen Erfolgschancen. Weiterbildung soll auf der einen Seite bereits Erlerntes vertiefen und auf dem aktuellen Stand halten. Ein rasanter technologischer und organisatorischer Wandel macht dies in nahezu allen beruflichen Bereichen und Positionen nötig. Manche Wissensinhalte veralten immer rascher und neue Technologien und Organisationsformen spriessen wie Pilze aus dem Boden.

Auf der anderen Seite verhilft Weiterbildung zum Erwerb neuer Kenntnisse, welche nicht direkt auf dem bisher Erlernten basieren. Wer eine technische Grundausbildung absolviert hat, möchte sich vielleicht im Bereich Marketing weiterbilden, um sein Start-Up-Unternehmen auf Trab zu bringen. Oder es möchte beispielsweise ein Sozialwissenschafter seine Informatikkenntnisse auffrischen, um ein Online-Umfrage-Tool zu entwickeln. Schöne lernende Arbeitswelt also? Aber ja, und sicherlich ist diese Entwicklung in höchstem Masse zu begrüssen. Und doch hapert es bei näherem Hinsehen noch an vielen Ecken und Enden. Lernfrust statt Lernlust ist allzu oft die ernüchternde Realität. Woran liegt das?

Zunächst gilt es festzuhalten, dass die Verantwortlichkeit für berufliche Weiterbildung sowohl bei der Arbeitnehmerseite als auch bei der Arbeitgeberseite liegt. Jeder Arbeitnehmer muss sich fragen, welche seiner Talente durch eine Weiterbildung am besten zur Blüte gebracht werden können. Und jeder Arbeitgeber muss sich fragen, welche Wissensressourcen in seinem Unternehmen vorhanden sind bzw. dringend erweitert werden müssen, damit das Unternehmen mit den zukünftigen Entwicklungen Schritt halten kann.

Damit nun aber die Arbeitnehmer ihre Weiterbildungstätigkeiten nicht einfach so ins Blaue hinaus gestalten müssen, sondern die Möglichkeiten abschätzen können, wie das neu erworbene Wissen auch zur Anwendung gebracht werden kann, bzw. die Arbeitgeber bei der Suche nach geeigneten, sprich adäquat weitergebildeten oder zumindest hochgradig weiterbildungbereiten Kandidaten auch tatsächlich fündig werden, bedarf es dringend einem verbesserten Dialog zwischen den beiden Akteuren.

Folgende zwei Punkte hindern eine effiziente und nachhaltige Organisation von beruflicher Weiterbildung.


Weiterbildungswildwuchs auf Arbeitnehmerseite

Weiterbildung, so die Überzeugung vieler Arbeitnehmer, dient der individuellen beruflichen Entwicklung. Jeder ist schliesslich seines Glückes Schmied. Liegt dieses Glück nun im Besuch eines Programmierkurses, im Absolvieren eines Marketing-Lehrganges oder im Zertifizierenlassen der eigenen Orchideenzüchter-Fertigkeiten, es gibt für fast alles irgendwo ein entsprechendes Angebot auf dem Bildungsmarkt. Dieser doch eher ich-zentrierte Auffassung stehen die am Kollektiv orientierten Ansprüche einer Tätigkeit innerhalb eines Unternehmens gegenüber. Wer sich im Anschluss an eine Weiterbildung nicht gleich selbstständig macht, sollte sich an erster Stelle die Frage stellen, welches Wissen er innerhalb von Unternehmen am erfolgsversprechendsten anbieten könnte.

Zum Glück, so meine Erkenntnis aus eigener Forschungstätigkeit, lassen immer mehr Arbeitgeber durchblicken, welche Weiterbildungen gefragt sind. Zahlreiche Stelleninserate enthalten im Anforderungsprofil neben einer verlangten Grundausbildung zugleich auch Angaben zu einer geforderten Weiterbildung. Technische Berufe etwa verlangen neben vorwiegend technischen Weiterbildungen auch ökonomische Weiterbildungen. Bei den Lehrern ist dies weitaus seltener der Fall. Ökonomen hingegen brauchen - neben berufstypischen Weiterbildungsinhalten - durchaus Weiterbildungen im Führungsbereich. Insgesamt betrachtet macht es statistisch mehr Sinn, bestehendes Wissen zu vertiefen und zu aktualisieren als sich fachfremde Kenntnisse anzueignen.

Es lohnt sich für Arbeitnehmer unbedingt, einen Blick auf die Trends zu werfen. Denn nichts ist mit grösserem Frust verbunden, als unter grossem finanziellem und zeitlichen Aufwand erworbenes Wissen später nicht gewinnbringend anwenden zu können. Darüber hinaus kann auch kein finanzieller Fortschritt, sprich keine Lohnerhöhung, erzielt werden. Wünschenswert bei der Bekämpfung des grassierenden Weiterbildungwildwuchses ist folglich eine höhere Transparenz bei den Unternehmen bezüglich ihrer Weiterbildungs-Pläne.


"Von Fall zu Fall"-Lösungen auf der Arbeitgeberseite

Aber haben die Unternehmen überhaupt Pläne? Es muss leider vermutet werden, dass die unternehmensinterne Organisation von Weiterbildung in allzu vielen Fällen noch in den Kinderschuhen steckt. Gerade grosse Unternehmen verlieren schnell einmal den Überblick über die Gesamtheit des Wissenspotentials ihrer Angestellten. Viele Unternehmen - auch kleine und mittlere - besitzen zudem nur eine sehr vage Ahnung davon, welche Wissensressourcen in naher bis mittlerer bis ferner Zukunft vorhanden sein müssen, um langfristig konkurrenzfähig zu sein. Weder über den Bestand noch über den Bedarf von Wissen besteht Klarheit. Auf dieser Basis ist es sehr schwierig, umfassende Weiterbildungspläne zu entwickeln.

Die Realität in vielen Unternehmen: ein organisatorischer Flickenteppich. Es wird zwar fleissig weitergebildet, Ingenieur X besucht einen Informatikkurs, Marketingleiter Y ein Projektleiter-Coaching und Sekretärin Z eine Abendschule für Englisch. Wohlgemerkt: in diesem Sinne verfehlen die Weiterbildung ihre Wirkung keineswegs! Aber betrachten wir es mal so: auf diese Weise dient Weiterbildung zur sicherlich notwendigen, aber ausschliesslich unmittelbaren Deckung des aktuellen Wissensbedarfs. Ideen darüber, wo das Unternehmen in einigen Jahren stehen wird, werden in Bezug auf berufliche Weiterbildung nicht umfassend ausgearbeitet. Nähte, um die Metapher des Flickenteppichs ein weiteres mal zu bemühen, werden geschlossen, aber die Decke wird nicht vergrössert.

Dieses "Von Fall zu Fall"-Management kann Unternehmen teuer zu stehen kommen. Denn wer behält da noch den Überblick? Weder lassen sich im Weiterbildungdschungel der Arbeitnehmerseite so leicht die richtigen Leute aufspüren noch besitzen die Arbeitgeber ausreichend Bescheid über die wohl zentralste Ressource eines Unternehmens: das Wissen der Gesamtheit aller Angestellten. Um Unternehmen dabei zu helfen, ihren Business-Plan auch auf den komplexen Bereich der Weiterbildung auszuweiten, sind Verbände, Personalwesen und externe Fachkräfte gefragt.


Fazit

Es macht keinen Sinn, wenn sich Arbeitnehmer und Arbeitgeber in Bezug auf berufliche Weiterbildung gegenseitig die Verantwortung zuschieben. Der Dialog muss intensiviert und die Transparenz vergrössert werden. Arbeitnehmer müssen wissen, welches über die Grundausbildung hinaus gehende Wissen auf dem Arbeitsmarkt gefragt ist, damit sie ihre Weiterbildungstätigkeiten dementsprechend ausrichten können. Auch die Arbeitgeberseite ist gefordert, denn viele Unternehmen tun sich nach wie vor schwer mit der zeitgemässen und effizienten Organisation der beruflichen Weiterbildung. Wildwuchs auf der Arbeitnehmerseite und Flickwerk auf der Arbeitergeberseite verhindern die angestrebte Effizienz und die Fähigkeit, auf künftige Entwicklungen schon heute den Fokus zu legen.

K o n t a k t :

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